Filmtipp #175: Das Ende ist mein Anfang

Das Ende ist mein Anfang

Originaltitel: Das Ende ist mein Anfang/La fine è il mio inizio; Regie: Jo Baier; Drehbuch: Ulrich Limmer, Folco Terzani; Kamera: Judith Kaufmann; Musik: Ludovico Einaudi; Darsteller: Bruno Ganz, Elio Germano, Erika Pluhar, Andrea Osvárt, Nicolò Fitz-William Lay. Deutschland/Italien 2010.

das ende ist mein anfang

Wer als Bruno Ganz auf der Welt ist, hat’s gut. Egal, wie gut, Hauptsache: Bruno Ganz. Man ist dann ja den ganzen Tag Bruno Ganz und den nächsten Tag auch noch und immer so weiter. Nicht auszudenken, jetzt auch noch wirklich Bruno Ganz zu sein — im Grunde kann das kein Mensch aushalten bis auf einen: Bruno Ganz. Bruno Ganz hat viel gespielt und ist trotzdem immer Bruno Ganz geblieben, sozusagen die ganze Zeit. Sollte Bruno Ganz einmal nicht Bruno Ganz gewesen sein, vielleicht aus Versehen oder einmal ganz kurz aus Trotz, ist er eigentlich doch Bruno Ganz gewesen, quasi unerkannt und darum möglicherweise umso mehr. (Frei zitiert nach Claudia Kohlhaase.) Niemand liebt Bruno Ganz so sehr wie Bruno Ganz, und das lässt er das Publikum bei jeder sich bietenden Rolle hammerschlagfest spüren. Ja, diese Authentizität bereitet fast physische Schmerzen. In »Das Ende ist mein Anfang« ist Ganz ganz Tiziano Terzani — so sehr, dass dieser komplett verschwindet. Einmal mehr vergewaltigt ein großer Star, der sicher mal ein guter Schauspieler war, eine Rolle. Ist man Ganz-Fan, wird einen das begeistern. Ist man’s nicht, kämpft man angesichts des unverhohlen zur Schau gestellten Narzissmus 95 lähmende Minuten gegen den Brechreiz an, was umso bedauerlicher ist, weil »Das Ende ist mein Anfang« auf einem außergewöhnlich guten, feinsinnigen Buch fußt und ein mitreißender Film hätte werden können: Tiziano Terzani war ein Weltenbummler und leidenschaftlicher Journalist. So war er unter anderem viele Jahre als Asienkorrespondent für den »Spiegel« tätig gewesen. Ein Mann, der, von einem nimmermüden Wissensdurst getrieben, wahrlich viel gesehen hat. Seine Krebsdiagnose trug er mit Fassung. Er zog sich mit seiner deutschen Frau Angela in das Familienhaus in der Toskana zurück, um in Ruhe zu sterben. Vollkommen mit sich im Reinen wollte er am Ort seiner Geburt den Kreis seines Lebens schließen. Er bat seinen Sohn Folco zu sich, um ihm seine Lebensgeschichte zu erzählen. Folco Terzani schrieb die Erfahrungen und Gedanken seines Vaters nieder; Tiziano Terzanis Buch wurde weltweit ein Bestseller.
Jo Baiers Verfilmung ist im Grunde genommen ein einziger Monolog: Bruno Ganz erzählt vor dem visuell behaglichen Hintergrund der Toskana seinem Filmsohn Elio Germano Terzanis Leben. An sich ein originelles Konzept; jeder andere Filmemacher hätte mit Rückblenden gearbeitet. Die Tiefe der Worte allein sollte berühren, und es hätte ein ausgesprochen meditativer Film werden können, wenn Baier einen anderen Hauptdarsteller verpflichtet hätte. Das pfiffige Buch- und Filmkonzept scheitert auf ganzer Linie an Ganz’ Eitelkeit. Er bemüht sich, mit einem langen Rauschebart immerhin Terzanis optischer Erscheinung Rechnung zu tragen, sieht allerdings mehr aus wie der Alm-Öhi aus »Heidi«. Seine exaltierte Darstellung schießt weit über das Ziel hinaus, er macht aus Terzani einen scheußlichen Unsympathen, der dieser mit Sicherheit so nicht war. (Wovon man sich anhand des reichlich vorhandenen Interviewmaterials mit dem echten Terzani überzeugen kann.) Alle anderen Rollen sind im Prinzip verschenkt: So taucht Erika Pluhar (in ihrer ersten Kinorolle seit 1984) einige Male als Terzanis Gattin auf, sondert ein paar belanglose Halbsätze ab, schält Kartoffeln oder serviert Ganz den Kaffee, und Elio Germano hat nicht viel mehr zu tun, als in ein paar Zwischenschnitten seinem Filmvater aufmerksam zuzuhören.
Wieso »Das Ende ist mein Anfang« trotzdem als Filmtipp hier verbucht wird? Das ist einzig und allein dem herrlichen Buch geschuldet, das so viel Kraft, Altruismus und Zuversicht verströmt, wie man es (leider) nur selten findet. Und die Kernaussagen des Buches finden sich auch in der Verfilmung, die konnte kein Ganz pulverisieren. Außerdem sind die Landschaftsaufnahmen wunder-wunderschön, wie aus einem Reisekatalog, und Vater-Sohn-Geschichten führen mich persönlich eigentlich immer ins Tal der Tränen.
Die DVD des Films ist erstklassig ausgestattet, so gibt es beispielsweise eine aufschlussreiche Dokumentation über Tiziano Terzani und ausführliche Interviews mit seinem Sohn Folco zu sehen.

André Schneider