Filmtipp #195: Das Mädchen Saphir

Das Mädchen Saphir

Originaltitel: Sapphire; Regie: Basil Dearden; Drehbuch: Janet Green; Kamera: Harry Waxman; Musik: Philip Green; Darsteller: Nigel Patrick, Yvonne Mitchell, Michael Craig, Paul Massie, Bernard Miles. GB 1959.

sapphire

Basil Dearden, am 1. Januar 1911 in Westcliff-on-Sea geboren, hatte sich seit den späten vierziger Jahren durch eine Reihe spannender Kriminalfilme bei seinen Landsleuten beliebt gemacht. Mit seinem Kompagnon Michael Relph, der oft nicht nur als Co-Produzent, sondern auch als Drehbuchautor fungierte, schuf er eine ganze Serie äußerst unterhaltsamer Publikumserfolge. So gingen unter anderem »The Blue Lamp« (1950), »Violent Playground« (1958, mit Stanley Baker und Peter Cushing), »The League of Gentlemen« (1960), »Victim« (1961, mit Dirk Bogarde) und »Woman of Straw« (1964, mit Sean Connery und Gina Lollobrigida) auf das Konto des produktiven Gespanns. Trotzdem galt der Filmemacher, der 1971 bei einem Verkehrsunfall tragisch ums Leben kam, lange »nur« als reiner Unterhaltungsregisseur, man räumte ihm keinen besonderen Platz in der Geschichte des englischen Films ein. Erst rund 40 Jahre nach seinem Tod wurden seine Filme von Filmhistorikern neu entdeckt und fanden eine adäquate Bewertung und Würdigung: Alan Burton und Tim O’Sullivan veröffentlichten mit »The Cinema of Basil Dearden and Michael Relph« eine umfassende filmwissenschaftliche Untersuchung seiner Arbeit, und 2011 brachte der Verleih Criterion unter dem Titel »Basil Dearden’s London Underground« eine kleine Werkschau mit vier seiner besten Streifen auf den Markt; eine schöne, wenn auch etwas späte Würdigung eines Regisseurs, dessen Qualitäten zeitlebens verkannt wurden.
     Einer meiner Lieblingsfilme Basil Deardens war und ist der 1959 mit einem BAFTA als Bester Film ausgezeichnete »Sapphire«. Ich sah ihn, ähnlich wie Henry Hathaways 23 Paces to Baker Street, ein einziges Mal im TV, als ich 13 oder 14 war, und konnte ihn nie richtig vergessen. Was habe ich mich über das DVD-Release gefreut — und das, obwohl man aus dem ursprünglichen Widescreen-Format ein dröges 4:3-Bild gemacht hatte! Aber auch mit zerstörter Bildkomposition bleibt der Kern des Films erhalten: »Sapphire« ist ein Krimi mit eingebauter Milieustudie. In grellem Eastmancolor zeichnen Dearden und sein Kameramann Harry Waxman ein akkurates Bild des im England der späten 1950er grassierenden Rassismus und dessen mörderischen Folgen. Das »Lexikon des internationalen Films« sah in dem Streifen sogar ein »gelungenes Lehrstück über […] Vorurteile«.
     Gleich zu Beginn des Films wird eine Frauenleiche wie ein Sack Kartoffeln nächtens in den Büschen des Hampstead Heath »abgeladen« — Petticoat, Wollstrümpfe, rotes Haar, weit aufgerissene Augen, bleiche Haut. Zwei spielende Kinder finden die Tote am nächsten Morgen, die Polizei wird alarmiert. Nigel Patrick spielt den Superintendent Hazard, ihm zur Seite steht Michael Craig als Inspektor Learoyd. Die Untersuchungen des Duos ergeben, dass es sich bei der Ermordeten um eine Musikstudentin namens Sapphire handelt, die aus einer schwarz-weißen Mischehe stammte und aufgrund ihrer Hellhäutigkeit ein Doppelleben als Weiße führen konnte. Sapphire erwartete ein Kind von ihrem (weißen) Freund (Paul Massie). Schon bald wittern die Ermittler ein rassistisches Motiv für den Mord…
     Die Drehbuchautorin Janet Green konnte für ihre herausragende Arbeit 1960 einen Edgar Allan Poe Award in Empfang nehmen und wurde darüber hinaus für einen BAFTA nominiert. Ebenfalls auf der Nominierungsliste stand die Hauptdarstellerin Yvonne Mitchell, deren überzeugende Darstellung der »Banalität des Bösen« noch lange im Gedächtnis bleibt. Das Kriminaldrama war seinerzeit zwar kein überwältigender Kassenknüller, hat sich jedoch über die Jahrzehnte als ein immergrün-aktuelles Stück Filmgeschichte etabliert. Unbedingt empfehlenswert!

André Schneider