Filmtipp #448: Das unheimliche Fenster

Das unheimliche Fenster

Originaltitel: The Window; Regie: Ted Tetzlaff; Drehbuch: Mel Dinelli; Kamera: Robert de Grasse; Musik: Roy Webb; Darsteller: Bobby Driscoll, Barbara Hale, Arthur Kennedy, Paul Stewart, Ruth Roman. USA 1949.

The Window

»Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.« — Der kleine Tommy Woodry (Driscoll) ist ein aufgewecktes New Yorker Kind mit einer lebhaften Phantasie. Den Nachbarskindern in der Lower East Side hat er schon den einen oder anderen Bären aufgebunden. Seinen Eltern Ed (Kennedy) und Mary (Hale) haben Tommys Räuberpistolen schon einigen Ärger eingebracht. In einer heißen Sommernacht kann Tommy nicht einschlafen und bittet seine Mutter, ihn auf der Feuertreppe schlafen zu lassen. Dort beobachtet er zufällig, wie die Nachbarn von oben, die Kellersons (Stewart und Roman), einen Mann ermorden. Als er am nächsten Tag zur Polizei geht, um das Verbrechen zu melden, schenkt ihm dort niemand Glauben. Auch seine Eltern vermuten, dass ihr Junge sich nur wieder wichtig machen will und reagieren verärgert. Die Mörder allerdings werden hellhörig und glauben sehr wohl, dass Tommy etwas gesehen hat. Als der Junge abends von seinen Eltern allein in der Wohnung gelassen wird, schreiten die Kellersons zur Tat, um den vorlauten Zeugen aus dem Weg zu räumen…

Die Vorlage zu diesem heute noch haarsträubend spannenden Thriller stammte aus der Feder Cornell Woolrichs, der auch die Kurzgeschichte »It Had to Be Murder« verfasst hatte, aus der später Rear Window wurde. Drehbuchautor Mel Dinelli (The Spiral Staircase, House by the River) adaptierte die Story und peppte sie filmgerecht auf. Der ehemalige Kameramann Ted Tetzlaff wurde von RKO als Regisseur verpflichtet. Der mit Produktionskosten von 200.000 US-Dollar ausgesprochen kostengünstige Film wurde sein größter Regie-Erfolg — ein Kassenknüller, der durchweg gute Kritiken erhielt und sogar ins Rennen um den Oscar ging (Frederic Knudtson für den Besten Schnitt). Die Kameraarbeit ist exquisit und fährt einige herrlich nostalgische New York-Postkartenmotive hoch.

Der Film steht und fällt jedoch mit Bobby Driscoll, dem damals erfolgreichsten Kinderstar der Welt. Der stand eigentlich exklusiv bei Walt Disney unter Vertrag, wo er einen Hit nach dem anderen drehte. Für »The Window« lieh Disney sein Zugpferd an RKO aus. Für seine erstaunliche Leistung erhielt der damals 12jährige Junge 1950 einen Juvenile Award, den bis 1960 unregelmäßig vergebenen Kinder-Oscar. Genützt hat ihm das nichts: Nachdem er 1953 von Disney fallengelassen wurde — Grund: der Teenager Driscoll hatte Akne bekommen —, ging es mit dem einstigen Kinderstar rapide bergab in den Drogensumpf. Als im März 1968 in einem leerstehenden New Yorker Apartment seine Leiche von zwei spielenden Kindern gefunden wurde, wusste niemand mehr, wer er war. Er wurde als Bettler anonym begraben. Erst zwei Jahre später, als sein Vater im Sterben lag, bemühte sich das Disney-Studio gemeinsam mit Driscolls Mutter darum, herauszufinden, was mit Bobby geschehen war. Zum Zeitpunkt seines Todes war er 31 Jahre alt gewesen: »Man trug mich auf einem Satinkissen umher, um mich dann in den Müll zu werfen.« (Driscoll über Hollywood)

André Schneider