Filmtipp #236: Wer ist Mr. Cutty?

Wer ist Mr. Cutty?

Originaltitel: The Associate; Regie: Daniel Petrie; Drehbuch: Nick Thiel; Kamera: Alex Nepomniaschy; Musik: Christopher Tyng; Darsteller: Whoopi Goldberg, Dianne Wiest, Tim Daly, Bebe Neuwirth, Eli Wallach. USA 1996.

The Associate

Nicht weniger als 63 Film- und Fernsehrollen spielte Whoopi Goldberg allein in den 1990ern, nachdem sie für ihre umwerfend komische Darbietung in »Ghost« (Regie: Jerry Zucker) den Oscar erhalten hatte. Darunter waren viele so genannte Gastauftritte, aber auch einige Vehikel, die speziell für sie entwickelt worden waren. Retrospektiv scheint es, als habe sie damals alles angenommen, was kam. Nicht alles war gut, und obwohl Whoopi bis heute gut im Geschäft ist — ihre Filmographie umfasst mittlerweile an die 200 Einträge! —, war ihre kreativ-künstlerische Laufbahn zur Jahrtausendwende praktisch beendet.
Unter den oft mittelmäßigen Whoopi-Komödien der Neunziger gefällt mir merkwürdigerweise Daniel Petries »The Associate« am besten, obwohl mir natürlich klar ist, dass es sich um ein handelsübliches Durchschnittsprodukt von der Stange handelt: Das Remake einer französischen Komödie von 1979, amerikanisch aufgeblasen und mit einer Prise aufgesetztem Populärfeminismus gewürzt. Aber ich kann mir nicht helfen, ich schaue mir den Film einfach gerne an und habe jedes Mal Spaß dabei.

Die Emanzipation hat Mitte der 1990er die Wall Street immer noch nicht erreicht. Die überaus clevere Finanzexpertin Laurel Ayres (Goldberg) — weiblich, farbig, um die 40 — schuftet und schuftet, während ihr fauler, schmieriger Kollege Frank (Tim Daly) die Lorbeeren einheimst. Als er auch noch die ihr zustehende Beförderung bekommt, während ihre Karriere stagniert, hat Laurel die Schnauze voll. Sie kündigt und gründet ihre eigene Firma. Doch schon nach kürzester Zeit muss Laurel feststellen, dass trotz ihrer brillanten Ideen und Konzepte niemand mit ihr Geschäfte machen will. In ihrer Verzweiflung — sie hat, um ihre Firma zu gründen, eine Hypothek auf das Haus ihres verstorbenen Vaters aufgenommen — erfindet sie kurzerhand einen männlichen Geschäftspartner: Robert S. Cutty, eine Wall Street-Legende, die stets anonym im Hintergrund die Fäden zieht. Mit dem imaginären Cutty und der patenten Sekretärin Sally (Dianne Wiest, Bullets Over Broadway) an ihrer Seite, fährt Laurel einen erfolgreichen Deal nach dem anderen ein und schreibt schnell schwarze Zahlen. Doch der Druck seitens der Investoren, den mysteriösen Mr. Cutty endlich persönlich kennen zu lernen, wächst stetig. Was nun unweigerlich folgt, erinnert ein wenig an »Tootsie« (Regie: Sydney Pollack): Mithilfe eines maskenbildernisch begabten Freundes (Kenny Kerr) verwandelt sich Laurel in den 67jährigen weißen (!) Cutty. Doch wie wir wissen, kann so ein doppeltes Spiel nicht ewig gut gehen…

Für ihre schier unglaubliche Verwandlung in Robert S. Cutty musste Whoopi Goldberg nicht weniger als zehn Stunden täglich (!) auf dem Stuhl des Maskenbildners Greg Cannom ausharren, der für seine Arbeit alle Anerkennung der Welt verdient.
Der 23 Millionen US-Dollar teure Streifen war 1996 mit einem Einspielergebnis von nicht einmal 13 Millionen ein herbes Verlustgeschäft, und auch die Kritik äußerte sich bestenfalls lauwarm. Lob fand allerdings das umwerfend aufspielende Ensemble, das Petrie für seine schwungvolle Komödie versammeln konnte: Neben Goldberg, Daly und Wiest sind Lainie Kazan, Austin Pendleton, George Martin, Eli Wallach und die rassige Bebe Neuwirth in spaßig überzeichneten Nebenrollen, die dem Film kraftvoll Leben einhauchen, zu sehen. Neuwirth war auch der Grund, weshalb ich mir seinerzeit die Videokassette besorgt hatte; anno 1999 war ich in einer Bebe-Phase. Während meines ersten Winters in der Berliner Friedelstraße sah ich mir »The Associate« oft an, irgendwie hob der Film meine melancholischen Lebensgeister und stimmte mich fröhlich. Dieses Jahr holte ich ihn mir endlich auf DVD und genoss ihn nach rund 15 Jahren aufs Neue.

André Schneider