Filmtipp #29 & #30: Svengali & Jeder stirbt für sich allein

Mir fällt auf Anhieb keine Schauspielerin ein, die bei ihrer Rollenauswahl ein so schlechtes Händchen hatte wie Hildegard Knef. Abgesehen von drei oder vier Glückstreffern waren ihre Filme eigentlich alle mies. Was in ihrem Fall wirklich traurig ist, denn sie beherrschte ihr Metier wie kaum eine andere deutsche Schauspielerin aus dieser Zeit. (Wer diese Aussage überprüfen möchte, schaue sich bitte das Fernsehspiel »Die geliebte Stimme« von 1960 an.) Filme mit Ortsangaben im (deutschen) Titel sind mit ganz wenigen Ausnahmen immer schlecht. Man denke nur an den armen Marlon Brando in »Südwest nach Sonora« (1966), »Die Gräfin von Hongkong« (1967) oder »Duell am Missouri« (1976) oder an die misslungenen Teile der Edgar-Wallace-Reihe wie beispielsweise »Die Tote aus der Themse« (1971) oder »Der Bucklige von Soho« (1966). Die Knef hatte eine bemerkenswert ausgedehnte geographische Phase: »Auf den Straßen von Paris« (1952), »Schnee am Kilimandscharo« (1952), »Treffpunkt Kanalstraße« (1954), »U-Bahn in den Himmel« (1959), »Die Furchtlosen von Parma« (1960), »Katharina von Russland« (1962), »Der Frauenmörder von Paris« (1962), »Geheimagentin in Gibraltar« (1963), »Wartezimmer zum Jenseits« (1964), »Blonde Fracht für Sansibar« (1965) und natürlich »Bestien lauern vor Caracas« (1968) — alles schlechte Filme. (Der Thriller »Kurier nach Triest« (1951) und das leider in Vergessenheit geratene Drama »Das Mädchen aus Hamburg« (1958) fehlen in dieser Auflistung: sie gehören zu den wenigen sehenswerten Werken in ihrer Filmographie.) Und von Billy Wilders Fiasko »Fedora« (1978) oder dem erbärmlichen Horrorschinken »Witchcraft« (Regie: Martin Newlin) mit David Hasselhoff möchte ich gar nicht erst anfangen. Arme Hilde!
     Ihrem Biographen Christian Schröder nannte sie in einem ihrer letzten Interviews vom 9. November 2000 ihre fünf Lieblingsfilme: »Die Mörder sind unter uns« (Regie: Wolfgang Staudte), »Film ohne Titel« (Regie: Rudolf Jugert), »La fille de Hambourg« (Regie: Yves Allégret), »Svengali« (Regie: Noel Langley) und »Jeder stirbt für sich allein« (Regie: Alfred Vohrer). Zum heutigen zehnten Todestag der Knef möchte ich mich der beiden letztgenannten Werke annehmen, da sie auch zu meinen persönlichen Favoriten gehören.

Svengali

Originaltitel: Svengali; Regie: Noel Langley; Drehbuch: Noel Langley; Kamera: Wilkie Cooper; Musik: William Alwyn; Darsteller: Hildegard Knef [Hildegarde Neff], Donald Wolfit, Terence Morgan, Derek Bond, Alfie Bass. GB 1954.

Svengali

Noel Langleys grelles musikalisches Märchen war Knefs 14. Film in vier Jahren und der letzte, den sie vor ihrem triumphalen Broadway-Engagement in Cole Porters »Silk Stockings« drehte. Nach ihrem Vertragsbruch bei der 20th Century Fox, ihrer Rückkehr nach Deutschland und dem fulminanten Flop »Madeleine und der Legionär« (Regie: Wolfgang Staudte) war ihre Filmkarriere im Prinzip beendet. Zwar drehte sie noch bis 1968 regelmäßig, aber dies waren ausnahmslos C-Produktionen, die man getrost vergessen kann. 

»Svengali« ist ein interessanter Film, knallbunt und irgendwie entrückt. Im Bohème-Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts spielt die Knef wunderbar fehlbesetzt mit krachendem deutschen Akzent das irische Mädchen Trilby O’Farrell, das sich nach dem Tode ihres Vaters (Noel Purcell) als Malermodell durchschlägt und sich in den Künstler Billy Bagot (Terence Morgan) verliebt. Der ebenfalls in diesen Kreisen verkehrende Hypnotiseur Svengali (Donald Wolfit), ein dämonisch anmutender Mann, verfällt ihrer Schönheit, will sie besitzen, versetzt sie in Trance und formt aus ihr eine Sängerin mit strahlend hellem Sopran — Elisabeth Schwarzkopf lieh der Knef ihre Gesangsstimme —, mit der er erfolgreich durch die Opernhäuser Europas zieht. Eines Abends, während eines ausverkauften Konzertes in der Pariser Oper, stirbt Svengali jedoch, und der Bann ist gebrochen. Die völlig verstörte Trilby steht auf der Bühne und fragt, was die ganzen Leute hier wollen. »Sie sind gekommen, um Sie singen zu hören«, sagt der Dirigent, und das naive Mädchen singt mit brüchiger Stimme das irische Kinderlied, das ihr Vater einst für sie sang. Das Publikum quittiert dies mit schadenfrohem Gelächter, Trilby bricht zusammen und wird von Billy in ihre Garderobe getragen, wo die beiden endlich zueinander finden.

Ursprünglich war die Rolle des Hypnotiseurs mit Robert Newton besetzt. Der Film war schon halb abgedreht, als dieser krankheitsbedingt ausfiel. Der bekannte Shakespeare-Darsteller Donald Wolfit sprang für seinen Kollegen ein. Unter Zeitdruck — Knefs Broadway-Vertrag war bereits unterzeichnet — mussten die mit Newton bereits gedrehten Szenen noch einmal gedreht werden. Die Knef beklagte Jahrzehnte später, dass Wolfit nur halb so gut war wie Newton.
     Vielleicht gehörte »Svengali« zu ihren Lieblingsfilmen, weil der Plot auf gewisse Weise ihre weitere Laufbahn vorwegnahm: vom Sexobjekt zur Sängerin. Vielleicht mochte sie ihn auch so sehr, weil sie in kaum einem anderen Film so seraphisch schön fotografiert worden war: Kameramann Wilkie Cooper tauchte die Aktrice in goldgelbes Licht und ließ mit Weichzeichner und geschickter Ausleuchtung ihre grünen Augen wie Sterne funkeln. Es war ihre erste Hauptrolle in einer ausländischen Produktion; in den zuvor in Frankreich, England und den USA entstandenen Filmen stand sie im Vorspann bestenfalls an dritter oder vierter Stelle.
     In England startete »Svengali« zu Weihnachten 1954 und wurde ein achtbarer Erfolg; er wurde sogar für einen BAFTA, den englischen Oscar, nominiert. In den Vereinigten Staaten brachte MGM den Film dann im September 1955, nachdem die Hauptdarstellerin bereits am Broadway für Furore gesorgt hatte, heraus. Der Roman »Trilby« von George L. Du Maurier, auf dem »Svengali« basiert, wurde übrigens 1931 in Hollywood mit John Barrymore schon einmal verfilmt.

Jeder stirbt für sich allein

Originaltitel: Jeder stirbt für sich allein; Regie: Alfred Vohrer; Drehbuch: Anton Czerwik,  Miodrag Cubelic; Kamera: Heinz Hölscher; Musik: Gerhard Heinz; Darsteller: Hildegard Knef, Carl Raddatz, Martin Hirthe, Heinz Reincke, Hans Korthe. BRD 1976.

Jeder stirbt für sich allein

In »Jeder stirbt für sich allein«, ihrem ersten Film nach gut acht Jahren Leinwandabstinenz, sah man die Knef, wie sie sich zuvor noch nie gezeigt hatte: abgemagert, eingefallen, ungeschminkt, unglamourös, als alte Frau in Kittelschürze, mit strähnigem Haar und tiefen Furchen im Gesicht. (Sie hatte kurz vor Drehbeginn eine langwierige Krebserkrankung, anschließende Morphiumsucht und schlussendlich eine Scheidung hinter sich gebracht und war sichtlich angeschlagen.) Für diesen Mut zur Hässlichkeit wurde sie 1976 als beste Schauspielerin beim Karlovy Vary International Film Festival  ausgezeichnet.

Als ihr einziger Sohn Otti (Alexander Radszun) an der Front »für Führer, Volk und Vaterland« gefallen ist, bricht für Anna (Knef) und Otto Quangel (Carl Raddatz), einem Berliner Arbeiterehepaar aus einfachen Verhältnissen, eine Welt zusammen. In ihrem Schmerz beginnen sie, überall in der Stadt anonym Postkarten mit den Worten »Der Führer hat mir meinen Sohn ermordet« zu verteilen. Doch schon bald geraten sie ins Visier der Gestapo. Durch einen dummen Zufall werden sie gefasst und zum Tode verurteilt.

Hans Fallada verfasste seinen letzten Roman schon kurz nach Kriegsende nach Original-Gestapo-Akten. »Jeder stirbt für sich allein« wurde sein Vermächtnis, das Buch erschien post mortem. Lange hatte sich niemand an eine Verfilmung gewagt, schon gar nicht in Deutschland, bis der Produzent Karl Spiehs, eigentlich bekannt für eine ganz andere Art filmischer Unterhaltung, sich des Stoffes annahm. Leider war Alfred Vohrer nicht der Regisseur, den man mit einer ambitionierten Literaturverfilmung hätte betrauen dürfen. Er war ein hohler Stilist, einfallsreich und kreativ — seine Edgar-Wallace-Verfilmungen gehören zu den stärksten der Serie! —, für einen brisanten und feinen Stoff wie diesen jedoch war er die falsche Wahl. So bleibt seine Fallada-Verfilmung leider auch sehr plakativ, überzeichnet und oberflächlich, vieles ist ärgerlich: die hölzerne Inszenierung, die Zweidimensionalität der Figuren, die wenig überzeugenden Pappkulissen und eine lieblose Nachsynchronisation, die so blechern klingt, als sei sie in einer Waschküche entstanden. Was den Film so sehenswert macht, ist das Zusammenspiel von Raddatz und Knef. Es gibt rührende Kammerspielmomente, die eine Größe haben, welche die Mittelmäßigkeit der Regie vergessen lassen. Die Knef schreckt vor keiner Emphase zurück. Ihr Gang zum Galgen am Ende des Films gehört zu jenen Momenten ihres Filmschaffens, die auch Jahre später noch beeindrucken.
     Karasek schrieb nach der Premiere im »Spiegel«: »Sie spielt die Jahre nicht runter, sondern rauf, sie riskiert Szenen egoistischer Härte, sie wagt Momente tierhaften Schmerzes und eine wahrhaft imponierende Tränenflut — eine proletarische Heul-Duse. Insgesamt turnt, so hat man den Eindruck, hier eine Virtuosin die große Welle auf dem Gefühlsreck, damit die Zuschauer Gefühle, zumindest mit ihrem Taschentuch, nachturnen können.«
     »Jeder stirbt für sich allein« war alles andere als ein Kassenerfolg, und auch das Fernsehen zeigte ihn äußerst selten. Letztes Jahr erschien der Film gut restauriert auf DVD. Wer mag, kann sich sogar die englische Synchronisation, die die Knef höchstpersönlich übernahm, anschauen.

André Schneider