Filmtipp #873: Die Mörder sind unter uns

Die Mörder sind unter uns

Originaltitel: Die Mörder sind unter uns; Regie: Wolfgang Staudte; Drehbuch: Wolfgang Staudte; Kamera: Friedl Behn-Grund, Eugen Klagemann; Musik: Ernst Roters; Darsteller: Hildegard Knef, Ernst Wilhelm Borchert [W. Borchert], Erna Sellmer, Arno Paulsen, Robert Frosch. Deutschland 1946.

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Ein in vieler Hinsicht beachtliches Werk ist dieser mutige und erstklassig inszenierte Klassiker. Es handelte sich um den ersten deutschen Spielfilm, der nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs entstand. Ausgerechnet die Russen hatten Wolfgang Staudte die Lizenz erteilt, seinen Film drehen zu dürfen. Mit »Die Mörder sind unter uns« wurde die DEFA ins Leben gerufen, die bis zur deutschen Wiedervereinigung die einzige Produktionsgesellschaft der DDR bleiben sollte. Staudte hatte bereits vor Kriegsende einen Drehbuchentwurf ausgearbeitet, der auf einem privaten Erlebnis fußte. (Er wurde in verschiedenen Entwicklungsphasen von seinem Vater Fritz unterstützt, später nahmen sich Johanna Sibelius und Eberhard Keindorff als Ghostwriter das Skript vor, ohne im Vorspann Erwähnung zu finden.) Wegen einer abfälligen politischen Äußerung war Staudte von einem SS-Obersturmführer mit der Pistole bedroht worden und hatte sich darüber Gedanken gemacht, wie er sich wohl nach Ende des Krieges diesem Mann gegenüber verhalten würde. Sein Exposé fand seinen Weg auf die Schreibtische der vier Kulturoffiziere der Besatzungsmächte, von denen schließlich nur die Sowjets an das Projekt glaubten. Am 16. März 1946 begannen unter unglaublich schwierigen Bedingungen die Aufnahmen im zerbombten Berlin und dauerten bis in den August. Man drehte am Stettiner Bahnhof, am Ku’damm, am Andreasplatz, vor der Petri-Kirche und schließlich in den Althoff-Ateliers in Babelsberg und in einem Johannisthaler Studio. Es entstanden ebenso bedrückende wie eindrucksvolle Bilder in nüchternem Schwarzweiß, die teilweise an die frühen Werke Fritz Langs erinnern. Der deutsche Expressionismus der 1920er war noch nicht ganz tot.

Zu Beginn des Films sehen wir Hildegard Knef, 20 Jahre jung, mit leerem Blick über einen überfüllten Bahnsteig gehen. Ein starkes, unvergessliches Bild. In ihrer ersten Hauptrolle spielt sie das Mädchen Susanne, das aus einem KZ befreit wurde und nun fremd in ihrer Heimat geworden ist. In ihrer alten Wohnung trifft sie auf den Kriegsheimkehrer Hans Mertens (Borchert), einen Militärchirurgen, mit dem sie sich, den Umständen geschuldet, gezwungenermaßen die Wohnung teilen muss. Während Susanne versucht, sich mit den neuen Gegebenheiten zu arrangieren, verfällt Mertens immer mehr dem Alkohol, um seine Erinnerungen an den Krieg zu betäuben. Er ist ein Zyniker, der mit der Welt gebrochen hat, während Susanne, jung, unschuldig und hungrig nach Leben, den Neuanfang ersehnt und sich in Mertens verguckt. Susanne erfährt zufällig, dass Mertens 1942 tatenlos mitansehen musste, wie sein Kompaniechef eine Gruppe polnischer Geiseln erschießen ließ. Mertens’ Wut steigert sich ins Bodenlose, als er erfährt, dass dieser Mann inzwischen als wohlsituierter Bürger in den Trümmern Berlins lebt und die Not der Menschen gierig ausnutzt…

Ursprünglich sollte der Film »Der Mann, den ich töten werde« heißen. Dieser Titel wurde nach einigen Staudte auferlegten Drehbuchänderungen verworfen. In der ursprünglichen Fassung tötet Mertens seinen alten Hauptmann. Dieses Ende wurde von den Zensoren als Aufruf zur Selbstjustiz gewertet und deshalb verboten. In der Endfassung verhindert Susanne den Sühnemord.
Der mit Spannung erwartete Film wurde international als hoffnungsvoller Neubeginn des deutschen Kinos gefeiert. In Deutschland sahen ihn bis ins Jahr 1951 über fünf Millionen Menschen. »Die Mörder sind unter uns« zählt heute noch zu den wichtigsten deutschen Filmen überhaupt und ist ein absolutes Muss!

André Schneider

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